Zunächst ein paar Fragen,
über die ihr kurz mal für euch nachdenken könnt:
Mit welchen Erwartungen seid ihr heute in diesen Gottesdienst gekommen?
Was habt ihr gedacht, als ihr das Thema gehört habt?
Und was erwartet ihr, seit dem ihr wisst, dass der Gehring die Predigt hält?
Es sind sicherlich ganz unterschiedliche Antworten, die ihr auf diese Fragen gebt.
Manche Leute erwarten von einem guten Gottesdienst, dass alles so abläuft, wie sie es gewohnt sind.
Manche erwarten, dass sie irgendwie überrascht werden.
Auch die Themen lösen verschiedenste Reaktionen aus.
Mir geht es so, dass ich auf einige Themen besonders gespannt bin und bei anderen Themen denke:
“Ach, das kann ich schon, da höre ich eh nichts Neues!“
Und auch von den Menschen, die die Gottesdienste gestalten, erwarte ich unterschiedliche Dinge.
Um mich nicht in eine ungünstige Situation zu bringen erzähle ich mal von einer anderen Gemeinde, in der ich mal war.
Dort gab es verschiedene Prediger und ich wusste vorher (bzw. glaubte es zu wissen), was ich von der jeweiligen Person erwarten konnte.
Der eine war lustig, der andere intellektuell und ein dritter war seelsorgerlich.
Und wenn der intellektuelle Typ plötzlich wahnsinnig lustige Geschichten in seinen Predigten erzählt hätte, dann wäre ich sehr irritiert gewesen.
Und so können wir an uns selber feststellen:
Bestimmte Dinge lösen bestimmte Erwartungen in uns aus.
Erwartungen, die dadurch entstanden sind, dass wir in unserer Vergangenheit Erfahrungen damit gesammelt haben, die eine Schlussfolgerung zulassen.
Oder vielleicht auch Erwartungen, die durch das, was uns andere Leute berichtet haben, in uns gewachsen sind.
In einem Gottesdienst z.B. erwartet jeder, dass gebetet wird.
Ist ja logisch, dafür ist er ja auch da.
Ein ganz anderes Beispiel:
Ein Sportauto fährt natürlich schnell, und zwar schneller als erlaubt ist.
Ich kann mir keinen Ferrari vorstellen, der mit 30 km/h an mir vorbeifährt.
Oder:
Mindestens jeder, der jünger als 50 Jahre alt ist, hat ein Handy.
Ist doch normal und geht gar nicht mehr ohne.
Sogar ich hab seit 1,5 Jahren eins.
Aber vorher wurde ich ganz schön blöd angeguckt. Und viele Leute wollten mir einfach nicht glauben, dass ich kein Handy hatte!
Oder noch einfacher:
Ein Schornsteinfeger hat immer Ruß im Gesicht und einen Zylinder auf.
Eine echte Sekretärin trägt eine Brille.
Ein richtiger Manager läuft immer im schicken Anzug herum.
Ein richtig echter Pastor trägt im Gottesdienst immer einen Talar!
(also hüten sie sich vor denen, die keinen tragen!)
Ein Bäcker hat immer einen dicken Bauch. Und ein König trägt immer eine Krone.
Das ist ja ganz klar. Wissen wir.
Und wenn das anders ist, dann kann es sein, dass wir erst mal verunsichert sind.
Und wir uns fragen, ob das denn so richtig ist.
Und ob da alles mit rechten Dingen zugeht.
Besonders wenn es um Gott geht, kann so etwas total irritieren.
Und es wird schnell verdächtig.
Allerdings haben wir einen Gott, der uns immer wieder in solche Situationen bringt.
Die Bibel ist voller Geschichten, in denen Menschen durch und von Gott irritiert sind.
Weil er anders handelt, als sie es sich vorstellen wollen und können.
Weil er Menschen dazu herausfordert, ihr Leben zu ändern und ihm völlig zu vertrauen.
Mit dem heutigen Sonntag beginnt die Zeit der sicherlich größten Irritation, die Gott uns zumutet.
Denn mit dem Einzug in Jerusalem beginnt die Passionsgeschichte, die Leidensgeschichte Jesu.
In der kommenden Woche denken wir am Gründonnerstag an das letzte Passahmahl Jesu mit seinen Jüngern und am Karfreitag rufen wir uns
seinen Tod in Erinnerung.
Die Passionszeit endet glücklicherweise am Ostersonntag und wir freuen uns über die Auferstehung, aber trotzdem ist das, was zwischen dem Einzug in Jerusalem und Ostern passierte, ganz schön verstörend.
Denn hier werden viele Vorstellungen, die Menschen von Gott und Erwartungen, die sie an ihn haben, zerstört.
Ich lade euch ein, diesen Weg Jesu in der Passions – und Osterzeit ganz bewusst mitzugehen und sich vielleicht von den Ereignissen
irritieren zu lassen und neu darüber nachzudenken.
Und diese Ereignisse beginnen am sogenannten Palmsonntag.
Palmsonntag ist der Tag, an dem Jesus wie ein König verehrt wurde.
Allerdings wie ein König ohne Krone.
Und die ganze Geschichte beginnt irgendwie schon merkwürdig.
Ich lese den Text aus dem Evangelium nach Markus:
„Kurz vor Jerusalem kamen sie zu den Ortschaften Betfage und Betanien am Ölberg.
Dort schickte Jesus zwei seiner Jünger fort mit dem Auftrag:
»Geht in das Dorf da drüben! Gleich am Ortseingang werdet ihr einen jungen Esel angebunden finden, auf dem noch nie ein Mensch geritten ist.
Bindet ihn los und bringt ihn her!
Und wenn jemand fragt: Warum macht ihr das?, dann antwortet: Der Herr braucht ihn und wird ihn gleich wieder zurückschicken.«
Die beiden gingen hin und fanden tatsächlich den jungen Esel draußen auf der Straße an einem Hoftor angebunden.
Als sie ihn losmachten, sagten ein paar Leute, die dort standen:
»Was tut ihr da? Warum bindet ihr den Esel los?«
Da sagten sie, was Jesus ihnen aufgetragen hatte, und die Leute ließen sie machen.“
Jesus ist mit seinen Freunden unterwegs nach Jerusalem, um dort das Passahfest zu feiern. Und nicht lange vor der Ankunft schickt er zwei seiner Jünger in ein kleines Kuhdorf, um von dort einen Esel zu holen.
Und ich finde, das klingt erst mal fast wie ein geplanter Diebstahl:
„Da steht so´n Esel, bindet den mal los und bringt ihn hierher.“
Aber er gibt ja auch noch eine Anweisung, was die beiden sagen sollen, falls jemand bemerkt, dass sie gar nicht die Besitzer des Esels sind.
Die Jünger haben das gemacht.
Sie sind losgegangen und haben das getan, was Jesus von ihnen wollte.
Ich kann mir gut vorstellen, was ihnen unterwegs für Fragen durch den Kopf gegangen sind:
„Woher weiß Jesus bloß, dass dort ein Esel steht, auf dem noch nie jemand geritten ist?
Warum sollten die Leute uns den Esel mitnehmen lassen, wenn wir ihnen die vorgegebene Antwort sagen? Und warum tun wir das hier eigentlich auch noch?“
Das wären jedenfalls die Fragen, die mir durch den Kopf gehen würden.
Und es sind sogar Fragen, die mir tatsächlich ab und zu durch den Kopf gehen.
Besonders bei manchen Dingen, die wir hier in Apostel machen.
„Woher sollen wir wissen, dass unsere Pläne funktionieren?
Warum sollten die Sachen, die uns so einfallen, auch Gottes Ideen sein?
Und warum sind wir so verrückt und wagen immer wieder neue, unsichere und unglaubliche Dinge?“
Meine Antwort darauf ist:
Weil wir Gott vertrauen und immer wieder die Erfahrung machen, dass er uns segnet.
Weil wir nach bestem Wissen seine Wege gehen und auf ihn hören.
Und weil er Situationen und Momente vorbereitet, damit wir sie nutzen können.
Wenn ich überlege, was für unglaubliche und wahnwitzige Projekte und Aktionen wir als Gemeinde auf die Beine gestellt haben, die von vielen (und auch von vielen von uns) für unmöglich gehalten wurden, die aber von Gott reich gesegnet wurden, dann kann ich nur staunen.
Staunen darüber, dass viel Unmögliches passiert. Und auch darüber, dass ich trotzdem immer wieder bei neuen Unmöglichkeiten daran zweifel,
dass Gott mit uns geht.
Wir können immer wieder erfahren, dass wir in Situationen kommen, die irgendwie von Gott vorbereitet und geplant waren.
Kennt ihr solche Situationen auch in eurem Leben?
Oder habt ihr vielleicht gerade das Gefühl, dass Gott euch an irgendeiner Stelle in eurem Leben auffordert, etwas zu tun, was ganz unmöglich und schwierig erscheint?
Ich möchte euch Mut zusprechen:
Wenn ihr das Gefühl habt, dass Gott euch etwas auf´s Herz gelegt hat, wenn du den Eindruck hast, dass Gott etwas Herausforderndes von dir möchte, dann bete darüber, prüfe es, aber geh auch los.
Mach einen Schritt in die Richtung und vertrau darauf, dass Gott mitgeht!
Das ist genau das, was die Jünger erleben.
Mal wieder.
Sie sagen den Leuten „Der Herr braucht den Esel!“, und alles ist klar.
Was auch immer den Leuten von Jesus bekannt war, die Situation ist vorbereitet.
Und auch das, was dann passierte, war zumindest Jesus sehr bewusst.
Er ist nicht einfach in eine Situation hingeschliddert, sondern er hatte klar vor Augen, was geschehen würde.
Ich lese weiter aus dem Markusevangelium:
„Die beiden Jünger brachten den Esel zu Jesus und legten ihre Kleider über das Tier, und Jesus setzte sich darauf.
Viele Menschen breiteten ihre Kleider als Teppich auf die Straße.
Andere rissen Zweige von den Büschen auf den Feldern und legten sie auf den Weg.
Die Menschen, die Jesus vorausliefen und die ihm folgten, riefen immer wieder: »Gepriesen sei Gott!
Heil dem, der in seinem Auftrag kommt!
Heil der Herrschaft unseres Vaters David, die jetzt anbricht!
Gepriesen sei Gott in der Höhe!«
So zog Jesus nach Jerusalem hinein und ging in den Tempel.“
Jesus wusste, dass Jerusalem übervoll war mit Menschen, die als Pilger zum Passahfest in die Stadt kamen.
Er wusste, dass durch seinen Einzug in Jerusalem viele Juden ihre Vorstellungen von Gott auf ihn projizieren würden.
Denn sie warteten alle auf Gottes Erlöser und kannten die Worte der Propheten.
Im Buch Daniel wird er so beschrieben:
„Danach sah ich in meiner Vision einen, der aussah wie der Sohn eines Menschen.
Er kam mit den Wolken heran und wurde vor den Thron des Uralten geführt.
Der verlieh ihm Macht, Ehre und Herrschaft, und die Menschen aller Nationen, Völker und Sprachen unterwarfen sich ihm.
Seine Macht ist ewig und unvergänglich, seine Herrschaft wird niemals aufhören.“ (Daniel 7,13f)
Ein starker, mächtiger Herrscher, dem sich alle Völker unterwerfen.
Und ein Volk unterwirft sich erst, nachdem es im Krieg verloren hat.
Nachdem es im Kampf niedergerungen wurde.
Deswegen muss der Gesandte Gottes ein starker Krieger, ein mächtiger Kämpfer sein, der den Ungläubigen zeigt, wo es lang geht.
Jesus macht durch seine Art nach Jerusalem zu kommen seinen Anspruch deutlich, dass er derjenige ist, dem die Macht und Ehre verliehen wurde.
Denn beim Propheten Sacharja steht:
„Freu dich, du Zionsstadt!
Jubelt laut, ihr Bewohner Jerusalems!
Seht, euer König kommt zu euch!
Er bringt Gerechtigkeit, Gott steht ihm zur Seite. Demütig ist er vor seinem Gott.
Er reitet auf einem Esel, auf einem starken Eselshengst.“ (Sach.9,9f)
Wir müssen uns klar machen, dass die Juden ihre Thora sehr gut kannten und die Texte sehr präsent hatten.
Sie hatten nicht so ein spärliches Wissen vom Wort Gottes wie wir heute oft, sondern sie wussten genau, was dort steht.
Und die Menschen hatten mit Sicherheit viel über Jesus gehört.
Sie hatten darüber nachgedacht, ob er wirklich der Gesalbte Gottes, der Messias sei, auf den sie so sehnsüchtig warteten.
Und als sie das Wort des Propheten erfüllt sahen, waren sie sich sicher, dass er es war.
Und sie breiteten ihre Kleider als Teppich auf die Straße oder rissen Zweige von den Büschen und legten sie auf den Weg.
Sie riefen immer wieder: »Gepriesen sei Gott!
Heil dem, der in seinem Auftrag kommt!
Heil der Herrschaft unseres Vaters David, die jetzt anbricht!
Gepriesen sei Gott in der Höhe!«
Das Volk jubelte, weil es glaubte, dass seine Vorstellungen in Erfüllung gingen.
Es jubelt seinem König zu, von dem es erwartet, dass er eine Krone tragen und mit Macht, Gewalt und Gerechtigkeit herrschen wird.
Und dass er diesen Herrschaftsanspruch durch den Einzug in Jerusalem deutlich macht und seine Herrschaft nun beginnen wird.
Doch es jubelt eigentlich nur seiner Vorstellung vom Messias zu und nicht dem Messias selbst.
Denn sie jubeln nur, solange sie Jesus falsch verstehen.
Und sobald die Erwartungen enttäuscht werden, wird aus Palmsonntag Karfreitag.
Das Volk jubelt eigentlich einem anderen Messias zu, einer anderen Erwartung.
„Endlich kommt der, der für Ordnung in unserem Land sorgen wird!“
ist ihre Hoffnung.
Ihr Jubel gilt dem falschen, trifft aber den richtigen König.
Den König, der eben keine Krone trägt.
Der König, der nicht auf einem Pferd, einem prächtigen Schlachtross in die Stadt einzieht, sondern auf einem Esel.
Der Esel galt als Tier der Arbeit (Dienen) und als Tier des Friedens.
Jesus kam als dienender, als liebender König.
Er kam als König, der für sein Volk alles tun und alles geben wollte.
Als König, dessen Reich ein gewaltloses, ein dienendes, ein vergebendes und liebendes Reich ist.
Und damit überforderte er die Menschen, die so ganz andere Erwartungen an ihn hatten.
Und plötzlich waren sie nicht mehr für, sondern gegen ihn.
Obwohl im Prophetenwort von Sacharja weiter steht:
„Er schafft die Pferde und Streitwagen ab in Jerusalem und ganz Israel, auch die Kriegsbogen werden zerbrochen.
Er stiftet Frieden unter den Völkern.
Von Meer zu Meer reicht seine Herrschaft, vom Eufratstrom bis zu den Enden der Erde.“
Die Menschen damals haben diesen Abschnitt bestimmt nicht vergessen, aber sie sind einfach davon ausgegangen, dass Gott durch die Präsentation seiner Macht den Frieden schafft.
Doch er tut es nicht so.
Er beginnt seine Herrschaft damit, dass er sich den Menschen ausliefert.
Er beginnt sein Reich zu bauen, indem er auf alle Macht verzichtet.
Er zeigt seine Größe, indem er zum Diener aller wird.
Es ist nicht zu fassen.
Und es ist nicht zu begreifen.
Und gleichzeitig ist es das größte Geschenk und die berührendste Liebeserklärung, die es gibt.
Der große, allmächtige Gott macht sich klein und verwundbar.
Damit er mit uns Gemeinschaft haben kann, damit wir mit ihm Gemeinschaft haben können.
Und er nimmt es in Kauf, dass wir falsche Erwartungen in ihn setzen.
Er nimmt es in Kauf, dass wir Menschen ihn nur so lange bejubeln, bis wir ihn nicht mehr verstehen.
Und er nimmt es sogar in Kauf, dass viele sich dann von ihm abwenden.
Ich mache den Menschen in Jerusalem keinen Vorwurf.
Denn ich weiß selbst viel zu gut, wo mein Jubel zu Gott plötzlich leiser wird.
Aus Feigheit, aus Enttäuschung, aus Bequemlichkeit, aus Zweifel.
Kennen ihr das auch, dass eure Begeisterung, euer Vertrauen in unseren Gott plötzlich ganz klein und leise ist?
Dass ihr vielleicht sogar zornig seid?
Es gibt viele Situationen, in denen ich irritiert bin, in denen ich Gott nicht verstehe.
Er handelt oft einfach nicht logisch.
Und schon gar nicht so, wie ich es mir wünsche.
Aber er handelt.
Er kommt als König, lässt sich bejubeln ohne es auszunutzen.
Er kommt ohne Krone, lässt sich bespucken, ohne sich zu wehren.
Er kommt ohne Königreich, lässt sich töten, damit sein Reich wie ein Samenkorn gepflanzt werden kann.
Und wir sind Teil dieses Reiches.
Wir kennen unseren König und wissen vielleicht ein bisschen mehr, als die Menschen damals.
Deswegen soll unser Jubel niemals aufhören und unser Vertrauen in Gott niemals enden.
Wir wissen, dass bald Karfreitag kommt.
Aber wir wissen auch, dass Ostern darauf folgt.
Wenn wir Karfreitag aushalten, wird unser Ostern zu einem lauten Jubel.
Weil Gott in unsere Welt eingezogen ist und niemals wieder gehen wird!
Weil Jesus immer bei uns ist als ein König, dessen Reich ein gewaltloses, ein dienendes, ein vergebendes und liebendes Reich ist.